Wand 6: JAPAN II, PRATER
Eine im Vergleich zu den "Cuts" gegenteilige Strategie im Umgang mit der Massenhaftigkeit der Bilder verfolgt Harald F. Müller bei seinen Reproduktionen, die in der Ausstellung mit den Werken "Japan II" und "Prater" vertreten sind. Jede dieser Arbeiten ist das Resultat der Sichtung von Tausenden Illustrationen in Magazinen, Büchern oder anderen Drucksachen. Die einmal ausgewählten Einzelstücke vergrössert er hundertfach und inszeniert sie mit einer aufwendigen Hängekonstruktion wie schwebend vor der Wand. Der Künstler greift auf das unendliche Potenzial der Bilder- und Sinnproduktionsmaschine der massenmedialen Welt zurück. Die Herausforderung im Umgang mit dieser Materialquelle besteht darin, jene Ideen und Bilder auszuwählen und sichtbar zu machen, denen er - warum auch immer - über den Moment hinaus Bedeutung zugesteht. Bedeutung wird nicht mehr durch die Erfindung von Inhalten und Bildern erzeugt, sondern durch die Auswahl sowie die Inszenierung der ausgewählten Bilder im Raum oder in den Medien.
Insgesamt hat Harald F. Müller 21 solcher Repros produziert. In der Ausstellung MONDIA werden zwei davon gezeigt. Die Auswahl von Harald F. Müller ist auch hier präzis und sinnstiftend.
"Japan II" ist eine der wenigen Fotografien mit politischem Hintergrund im Werk von Harald F. Müller. Gezeigt wird ein Vorfall in Japan, als 1990 ein pakistanischer Fundamentalist Hitoshi Igarashi, den übersetzer von Salman Rushdies "Satanischen Versen", angreift, um ihn für die Verbreitung dieses religionskritischen Textes zu bestrafen. In dieser Szene manifestiert sich eine Entwicklung, die als "Globalisierung" bezeichnet wird und die den Blick auf die Welt verändert hat. Ereignisse irgendwo auf der Welt zeitigen Wirkung an einem ganz anderen Ort. So löst der Text eines in England lebenden Dichters über den Islam auf einer Veranstaltung im schintoistischen und buddhistischen Japan eine Reaktion aus, die unvorhersehbar war. Die Welt ist unübersichtlich geworden.
Gemeinsam ist den Repros die penetrante Sichtbarkeit der Rasterung, die durch die extreme Vergrösserung entsteht. Mit diesem In-den-Vordergrund-Rücken der technischen Bedingungen der Bilder macht der Künstler deutlich, dass seine Werke nicht Bilder der Welt zeigen, sondern Bilder von Bildern der Welt, Reproduktionen eben. Sie sind gestochen scharf, aber die Schärfe fokussiert nicht auf Realitätsabbildung wie die Menschen im Park oder die Textilmuster der Kleider. Präzis gezeichnet sind die Rasterpunkte, was unübersehbar deutlich macht, dass es sich hier um Abbildern von Reproduktionen handelt.
Das Werk "Prater" ist zum einen ein Beispiel für eine sorgfältigst komponierte Fotografie. Wie die Rundformen des Riesenrads, des Wasserbeckens und der Planetariumskuppel ineinandergreifen, zeugt vom geschulten Auge des anonymen Fotografen und seinem Hang, sein Blick auf die Welt als eine wohlgeordnete Komposition zu gestalten. Kein Zufall ist zudem das Auftauchen von Weltkugel und Planetarium als Motive, die einmal mehr die Welt und in diesem Fall sogar das ganze Universum als Kernthema der Ausstellungen in Erinnerung rufen.
Markus Landert