Wand 1: MONDIA
Der Auftakt zur Ausstellung formuliert gleich einmal eine manifestartige Selbstbehauptung des Künstlers. Sechs blaue, vor einer orange-roten Wand schwebende Buchstabe setzen sich zum Wort MONDIA zusammen. Damit übernimmt Harald F. Müller gleich selbst die Aufgabe, die normalerweise von den Ausstellungsgestaltern realisiert wird. Er inszeniert den Ausstellungstitel, macht ihn zum Kunstwerk und führt modellhaft sein eigenes Kunstverständnis vor. Das Wort MONDIA ist ein Fundstück, das Harald F. Müller bei Recherchen im heute nicht mehr existierenden Archiv der Aluminium-Walzwerke Singen (Alusingen) auf einer Fotografie aufgespürt hat. Das Bild zeigt Lastwagen, auf dessen Blache unübersehbar der Markennamen MONDIA der Transportfirma prangt. Diese Wortschöpfung wurde auch zur Bezeichnung von Firmen für Fahrräder oder Uhren genutzt und erinnert sofort ans Französische "le monde" oder das Italienische "il mondo". Wenngleich MONDIA nur auf Rumänisch "Welt" bezeichnet, so tönt die Inszenierung der Buchstaben im Eingangsraum eine manifesthafte Behauptung an etwa im Sinn von: In dieser Ausstellung fasst der Künstler die "Welt". Seine Kunst beschäftigt sich mit universellen Fragen und Bildern. Er demonstriert, wie die Welt gesehen und gezeigt werden kann.
Allerdings sind die Buchstaben spiegelverkehrt und gegen die normale Leserichtung von rechts nach links vor der Wand montiert. Dieses Verkehren ist ein Verweis auf Leonardo da Vinci, der seine Texte gerne in Spiegelschrift verfasst hat, damit sie von anderen nicht zu lesen wären. Auch Harald F. Müller schreibt oft spiegelverkehrt. Dies kann als Hommage an den genialen Renaissancekönner verstanden werden oder geradeso als übung, um beide Hirnhälften gleichermassen zu animieren. Im Ausstellungsraum wird das spiegelverkehrte MONDIA zu mehr als zu einem Verweis auf private Vorlieben des Künstlers. Die Spiegelung ist vielmehr eine Strategie zur Verhinderung einer leichten Lesbarkeit. Gleich zu Beginn der Ausstellung wird deutlich gemacht: Eine schnelle Lesbarkeit ist keine Eigenschaft von Kunstwerken, im Gegenteil: Gerade die Vermeidung einer voreiligen Sinnstiftung ist ihnen oft eigen. Kunstwerke sind ästhetische Stolperfallen, und die Welt ist zu komplex, um in einfachen Begriffen oder Bildern gefasst zu werden. MONDIA ist zudem auch ein Wortspiel. Die Buchstaben können als "MON DIA", mein Diapositiv gelesen werden. Der Diapositivfilm ist eine analoge Fototechnik, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts nicht zuletzt im privaten Bereich eine massenhafte Verbreitung fand. Das Diapositiv bot dem kleinen Mann der Wirtschaftswunderjahre die Möglichkeit, seine eigene Welt bildlich einzufangen. Der Diaabend gehörte zu den gleichermassen geliebten wie verachteten Ritualen der Kleinfamilie. Das Dia war ein Ort der persönlichen und privaten Selbstversicherung: MON DIA - mein Bild!
Markus Landert