Wand 2: CUTS
Einige Schritte weiter lanciert Harald F. Müller mit einigen seiner Werke eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie Bilder die Welt fassen, spiegeln oder eine Vorstellung von ihr hervorrufen können. Seit der Renaissance werden Bilder als Abbilder, als Sinnbilder oder als suggestive Hervorbringungen von Ideenwelten eingesetzt. Mit der Erfindung der Fotografie hat diese Wirklichkeitsspiegelung und -produktion eine Objektivierung erfahren. Lange Zeit galt die Kamera als unbestechliches Instrument zur Erstellung von Abbildern der Wirklichkeit. Nichts schien sich der maschinellen Aufzeichnung entziehen zu können.
Die von Harald F. Müller als "Ciba Noir" bezeichneten quadratischen Bildern verweisen auf dieses umfassende Abbildungspotenzial der Fotografie. Es handelt sich dabei um quadratische, nicht entwickelte Cibachromfotopapiere, die auf einer voluminösen Kartonkonstruktion vor farbigen Wänden montiert sind. Cibachromfotopapiere werden heute nicht mehr hergestellt und kaum noch benutzt. Sie dienten ehemals der Vergrösserung von Dias und zeichnet sich durch besondere Brillanz und Farbechtheit aus, weil die Farbpigmente direkt in die Fotoschicht eingelagert sind. Bevor es entwickelt wird, zeigt das Papier aber eine unspektakuläre, braune Oberfläche. In der Ausstellung präsentiert Harald F. Müller zwei dieser Ciba Noir-Arbeiten. Noch nicht entwickelt spiegelt jedes dieser blinden Quadrate aber das Potenzial aller möglichen Fotografien. Richtig behandelt, verwandeln sich die matt glänzenden Flächen in jedes denkbare Abbild der Welt.
Mit zur Gruppe der "Cuts" gehört auch der Spiegelcut, der neben den zwei "Ciba Noirs" hängt. Ein Spiegel ist eine Bildmaschine, die alles, was im gegenüber existiert, zu einem Abbild der Realität kondensiert. Am Spiegel-cut zeigt sich deshalb modellhaft, was ein Bild ausmacht: Ein solches erweist sich als ein isolierter Ausschnitt aus der Umwelt, in dem die gespiegelte, dreidimensionale Wirklichkeit zu einer Fläche verdichtet repräsentiert wird. Von einem Gemälde oder einer Fotografie unterscheidet sich der Spiegel dadurch, dass in den ersten beiden Werkarten auch zeitlich ein Ausschnitt definiert wird, während sich im Spiegel das Bild wie in einem Film ständig verändern kann, abhängig nicht zuletzt Standort der jeweiligen Betrachterin oder des Betrachters.
Markus Landert